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Stralsunds Sport bekommt internationales Flair

Die Fuß- und Handballer aus Stralsund haben nun Spieler vom jeweils anderen Ende der Welt im Kader. Die Volleyballerinnen haben ihre erste ausländische Spielerin überhaupt verpflichtet.

 

Wenn Hiromi Tsuyama von Stralsund aus nach Hause telefonieren will, wartet er bis 24 Uhr. Dann sind seine Familie und Freunde im Heimatort Miyazaki auf der südjapanischen Insel Kyūshū vielleicht schon beim Frühstück und er kann die neuesten Handballereignisse dem anderen Ende der Welt mitteilen. Zeitgleich würde Fußballer Romulo Lopes seine Verwandtschaft wohl beim Abendbrot im brasilianischen Montes Claros erwischen. Da hat es Julia Kneba einfacher: Die Volleyballerin muss keine Zeitverschiebung wie Tsuyama beim Ferngespräch über 8700 Kilometer oder Lopes über gar 9600 Kilometer einplanen. Ihr Zuhause liegt „nur“ 319 Kilometer Luftlinie entfernt in Nordwestpolen. Dennoch bereichert Kneba seit diesem Sommer genau wie der Japaner und der Brasilianer den Stralsunder Sport mit internationalem Flair. Die Polin schlägt für die Stralsunder Wildcats in der 2. Volleyball-Bundesliga auf. Tsuyama geht mit dem Stralsunder HV in der 3. Handballliga auf Punktejagd. Und Lopes kickt beim TSV 1860 Stralsund in der Fußball-Landesliga.

Alle drei sind die einzigen Internationalen in ihrem Team. Kneba ist sogar die erste überhaupt bei den Wildcats. Für das Trio ist Deutschland ein Abenteuer (fast) ohne Auslandserfahrung und Deutschkenntnisse.

Tsuyama: Brüder wecken Handballbegeisterung

„Mein erstes Wort, das ich hier in Stralsund gelernt habe, war: ‚anstrengend‘“, sagt Tsuyama lachend und gibt damit gleich mal Einblick in die Vorbereitung des SHV. Wochenlang ließ Trainer Steffen Fischer Kondition und Kraft bolzen. Erst seit wenigen Tage dürfen seine Schützlinge wieder einen Handball anfassen. Vor einem Jahr kam Tsuyama erstmals nach Deutschland, um beim Zweitligisten EHV Aue mitzumischen. Der Japaner fiel dem SHV-Trainer Fischer während eines gemeinsamen Trainingslagers positiv auf. Ein Jahr später klappte der Wechsel. „Ich wollte in Deutschland Handball spielen“, sagt Tsuyama. In Japan ist Handball bei Weitem nicht so populär wie hierzulande. Dennoch entschied sich Tsuyama als Kind für den Sport beziehungsweise legte seine Familie den Grundstein für seine Handballkarriere. Seine drei Brüder spiel(t)en ebenfalls Handball. „Einer will auch nach Deutschland kommen“, sagt der studierte Sportwissenschaftler und gab dabei SHV-Manager Markus Dau zwinkernd einen Wink mit dem Zaunpfahl.

Stralsund findet Tsuyama „wirklich gut, schöner Strand, schöne Natur“. Die Teamkollegen sind „freundlich“, meint der eigentlich bescheidene 25-Jährige. Nur bei den sportlichen Zielen ist er bisweilen (über-)ehrgeizig: „Ich will jedes Spiel gewinnen, viele Treffer erzielen und Vorlagen geben und möchte in die 2. Liga aufsteigen – mit Stralsund.“

Kneba: Training ist Deutschkurs

Robert Hinz war zur rechten Zeit am rechten Ort. Als Julia Kneba ein Probetraining beim SC Potsdam absolviert, war der neue Trainer der Stralsunder Wildcats zufällig vor Ort und lud die Polin prompt nach Stralsund ein. Kurz darauf avancierte die Linkshänderin, die im münsterländischen Ahlen geboren wurde, zur ersten Ausländerin in der Wildcats-Geschichte. Für Kneba ein großer Schritt. „Zuhause haben alle gesagt: Was macht sie bloß? Sie kann noch nicht mal die Sprache“, erzählt die 19-Jährige. Deutsch will sie schnell beherrschen. Dafür muss sie in jedem Training ein neues Wort lernen. Trainer und Mitspielerin fragen sie ab. Ihr anvisierter Studiengang, International Management an der Hochschule Stralsund, wird auf Englisch abgehalten.

Und falls es Kneba doch mal nach einem Schwatz auf Polnisch gelüstet, ist ihre Familie nicht weit weg. Die Eltern wollen sowieso die 500 Kilometer aus Kościerzyna (deutsch Berent) auf sich nehmen, um zu einem Heimspiel der Wildcats zu kommen. Die Schwester lebt in Berlin, der Bruder ist als Marinesoldat in Parow stationiert.

Zum Volleyball kam Kneba wie viele Mädchen in Polen. Im Nachbarland ist Volleyball Nationalsport. In einem Jahr wuchs sie acht bis zehn Zentimeter – entscheidend für Volleyballer. „Ich dachte: Oh, das könnte ziemlich gut werden“, sagt Kneba. Mittlerweile stagniert sie bei 1,80 Meter. „Ich hoffe, ich wachse noch“, sagt die Diagonalangreiferin verlegen. Das sportliche Niveau kann sie noch nicht vergleichen. In Polen spielte sie mit einem Nachwuchsteam in der zweiten Liga. „Ich bin in Stralsund, um meine Fähigkeiten zu verbessern und eine andere Seite des Volleyballs kennenzulernen“, sagt Kneba.

Lopes: Von Brasilien über Ukraine nach Deutschland

Romulo Lopes ist recht kühl in Stralsund. Der Brasilianer ist tropisches Wetter gewohnt. Aktuell ist Winter in seinem Heimatland und nachts mindestens genauso warm wie mittags am Sund. Doch er hat auch schon die ukrainische Kälte zu spüren bekommen. 2013 verschlug es Lopes zu Volyn Lutsk. Bei dem Klub im Nordwesten der Ukraine hatte sein Bruder Ramon, der aktuell Profi in Saudi-Arabien ist, schon jahrelang gekickt. Zusammen kickten sie jedoch nur ein Jahr. Der jüngere Romulo ging zurück nach Brasilien, der ältere Ramon zog weiter nach Japan.

Seit einem halben Jahr läuft das zweite Auslandsabenteuer für Romulo Lopes. Weil seine Frau einen Job als Krankenschwester im Stralsunder Klinikum bekam, gewöhnt er sich an deutsches Wetter und Sprache. Und beim TSV 1860 Stralsund will Lopes nach langer Fußballpause einfach wieder ein bisschen kicken.

Horst Schreiber

Ostsee-Zeitung