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Benjamin Schulz (l.) und Johannes Trupp feiern die erfolgreiche Aufholjagd in Schwerin ausgelassen. © DIETMAR ALBRECHT

Stralsunder Handball-Wahnsinn in Schwerin

Handballer gewinnen das MV-Derby nach deutlichem Rückstand noch mit 30:28. Im entscheidenden Moment behielt ein Routinier vorne die Nerven und hinten ein junger Spieler den Sieg fest.

Noch knapp 20 Sekunden auf der Uhr, der Stralsunder HV führt mit 29:28 und hat einen Siebenmeter. Benjamin Schulz nimmt sich den Ball, macht eine Finte und trifft dann zum Sieg. „Einfach ein überragendes Gefühl! Eine überragende Mannschaftsleistung. Unfassbar, was wir hier für eine zweite Halbzeit hingelegt haben“, sprudelte es aus Benjamin Schulz heraus. Der Linksaußen konnte nach dem 30:28 (13:17)-Sieg seines SHV im Drittliga-Derby gegen die Mecklenburger Stiere Schwerin nicht so recht glauben, was passiert war. Besonders pikant: Schulz hatte vorher schon zwei Siebenmeter verworfen. „Das war mir in dem Moment völlig egal. Ich habe mir den Ball genommen und nur gedacht: Den haust du da jetzt irgendwie rein und dann haben wir gewonnen“, sagt Schulz.

Es war der sechste Sieg in den vergangenen acht Spielen – die beiden anderen Partien endeten unentschieden. „Es ist nicht zu glauben, was wir für eine Saison spielen. In Schwerin mit zwei zu gewinnen…“, blieben auch SHV-Trainer Steffen Fischer etwas die Worte weg. 16 Punkte nach 13 Begegnungen bedeuten Platz vier in der Tabelle. Statt Kampf um den Klassenverbleib klopfen die Sundstädter in der Spitzengruppe an.

In der Nachbetrachtung wird er über zwei komplett grundverschiedene Halbzeiten reden. Erst sah es lange so aus, als wären die Stralsunder ausgerechnet zum MV-Duell nicht richtig präsent. Umso bissiger und effizienter waren die Gäste nach dem Seitenwechsel.

Im Eiltempo zogen die Stiere in den ersten drei Minuten auf 3:0 davon und kontrollierten von da an die Partie. Auf Seiten des SHV wechselten sich technische Fehler und Fehlwürfe hingegen im Minutentakt ab. Die Schweriner wirkten wacher und aggressiver – sahen dafür aber bereits in der ersten Halbzeit sechs Zeitstrafen und ließen die Stralsunder somit im Spiel. „In der Kabine haben ich dann gar keine richtige Ansprache gehalten. Es gab eher einen gemeinsamen Austausch, um die sehr emotionale Stimmung erstmal wieder abzufangen“, erklärt Fischer. Die 200 Fans in der Palmberg-Arena sorgten mit Pauken und Trompeten zwischenzeitlich für das Gefühl eines Hexenkessels – Derbystimmung!

Die nahmen Schulz und seine Nebenmänner nach dem Seitenwechsel an: Sie spielten in der Abwehr offensiver und ließen keinen Gegner mehr frei zum Wurf kommen. „Wie da jeder für jeden gekämpft hat und das bis zum Schluss… Wir sind alle total platt, aber was ein wahnsinniges Gefühl, hier das Derby zu gewinnen – einfach Hammer!“, sagt Schulz.

Die Stralsunder schafften es zusätzlich, dem Spiel ihren Stempel aufzudrücken. Statt ohrenbetäubender Lautstärke von den Rängen und einem Schlagabtausch in Höchstgeschwindigkeit beruhigten die Gäste das Spiel und die Fans. „Wir hatten wieder die bessere Spielanlage als der Gegner. Wir waren geduldiger und haben auf unsere Möglichkeit gewartet“, begründet Schulz den Sieg. Lange sah es aber nicht danach aus, denn obwohl der SHV den Rückstand schnell verkürzt hatte (19:20, 38.), gelang erst gut zehn Minuten vor Schluss der Ausgleich.

Das war auch dem Routinier Jan Kominek zwischen den SHV-Pfosten zu verdanken. Nach einer längeren Verletzungspause kehrte Kominek zurück und wurde nach Wiederanpfiff zum Mann des . Erst per Doppelparade, dann traf er selber über das gesamte Feld ins verwaiste gegnerische Tor. In der Endphase war es dann sein junger Kollege Jona Brüggmann, der den Derbysieg festhielt. „Das habe ich gar nicht entschieden, sondern kam von den beiden. Jan Kominek ist ein sehr erfahrener Torhüter und hatte einfach das Gefühl, dass er da nicht mehr so den Zugriff auf das Spiel hatte. Also hat Jona wieder übernommen“, freut sich Fischer, dass der Plan mit einem Routinier und einem jungen Wilden im Torhüter-Duo aufgegangen ist.

Ostsee-Zeitung
Niklas Kunkel

Bild: DIETMAR ALBRECHT